LK Latein

 
Ein Leistungskurs ist wie eine Geisterbahnfahrt: Man löst einen Chip an der Kasse, wir mit einem Häuflein anderer Fahrgäste in einen Wagen verfrachtet, dieser rollt los, eine dunkle Tür öffnet sich, und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Egal, was im Inneren an schaurigen Geschehnissen lauert – Abspringen während der Fahrt ist verboten!
Nach einer gewissen Zeit öffnet sich wieder eine Tür, der Wagen rollt heraus, einige Mitfahrer strahlen übers ganze Gesicht, andere blicken eher gelangweilt, manchen steht gar das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben – was mag wohl während der Fahrt alles vorgefallen sein?
Es ist Vorschrift, daß in jedem Wagen ein Bediensteter des Fahrgeschäfts am Steuer sitzt; er kann zwar die Route nicht eigenmächtig wählen, denn sie ist durch ein Gleissystem festgelegt, aber doch durch gezieltes Verlangsamen oder Beschleunigen des Tempos den Gruselkoeffizienten der Belastbarkeit seiner Passagiere anzupassen versuchen.
Der Parcours als solcher ist ihm längst vertraut; was seinen Job immer wieder spannend macht, ist die wechselnde Zusammensetzung der Fahrgäste und ihre ganz individuelle Reaktion auf das Gebotene – und so wird auch seine Miene am Ende jeder Fahrt eine andere sein.

Der Wagen mit der Aufschrift "LK Latein" ist soeben ausgerollt; ihm sind mehr oder weniger wohlbehalten entstiegen:

Stephan Huber: Er versuchte währen der Fahrt ständig, den Wagen durch heftige Mundbewegungen von der Route abzubringen und auf ein sehr wenig befahrenes Nebengleis umzuleiten. Dabei, so hoffte er, könnte man auch die von weitem so abscheulich wirkende Fratze des Kaisers Domitian einer näheren Betrachtung unterziehen und dabei feststellen, daß es sich bei ihm in Wirklichkeit um ein wahres Engelchen handelt.

Birgit Krämer: Sie leistete stets erste Hilfe, wenn ihr Sitznachbar in besonders gruseligen Situationn einer Ohnmacht nahe war, was ihr nicht schwerfiel, denn sie selbst war geradezu süchtig, nach besonderen Exponaten. Am liebsten hätte sie jede einzelne Schreckensfigur dreimal umrundet – ein wahres Wunder an Nervenstärke!

Christian Kroneder: Ganz schön cool! Er ließ sich weder von Tod noch Teufel schrecken, nicht einmal Livius und Tacitus versetzen ihn in helle Panik, auch Senecas Grimasse passierte er achselzuckend – womit kann man diesen Menschen eigentlich schocken?

Gudrun Lindemann: Sie reiste extra aus Eggenfelden an, um diese Fahrt mitzumachen. Cicero, der Schauerliche, entlockte ihr nur ein mitleidiges Lächeln. Ihm erging es nicht anders als seinen antiken Kollegen, die alle von Gudrun als eigentlich recht harmlose Pappfiguren entlarvt wurden. Sollte sie sich doch einmal vor einem gefürchtet haben, so hat sie es zumindest nicht gezeigt.

Andrea Schinnerl: Der ängstlichste Fahrgast von allen. Verschüchtert drückte sie sich in die Polster des Wagens und riskierte nicht allzuoft einen Blick auf die Parade der Horrorgestalten. Schade eigentlich, denn manchmal verbergen sich ganz nette Jungs hinter den Masken, die wunderbar mit Andreas epikureischer Grundeinstellung harmonieren können.

Martin Schwenke: Er sah dem Grauen tapfer ins Gesicht und ließ sich auch nicht davon irritieren, daß bei jeder nicht ganz unproblematischen verbalen Äußerung seinerseits sämtliche Alarmglocken schrillten, ja manchmal sogar die Sirenen heulten. Mit stoischer Ruhe und Gelassenheit ertrug er diese und andere Belästigungen, denen er manchmal von der rechten Wagenseite her ausgesetzt war.

Bernhard Strunz: Bei seiner Vorliebe für Ovids amouröse Schriften wirkt das Monster der ciceronianischen Verfassungslehre etwas abschreckend auf ihn, aber getreu dem Wahlspruch "Militat omnis amans" bestand er souverän alle Prüfungen, die seiner "virtus" während der Fahrt auferlegt wurden. Ein Fahrgast, der den Wagen stets am Rollen hielt!

Matthias Westner: Die Hauptattraktion der Geisterbahn war für ihn ohne Frage die trimalchionische Orgienszene gleich zu Beginn der Fahrt, und oftmals wandte er sehnsuchtsvoll den Kopf nach ihr um, wenn der Wagen durch Bereiche fuhr, die eher von klapperdürren, askesepredigenden Gerippen dominiert wurden. Als Sprecher der Passagiere und auch in eigener Sache forderte er, wenn die Askese allzusehr überhand zu nehmen drohte, eine Fahrtpause mit Verköstigung, vorzugsweise italienischer Prägung.

Soweit die Kurzbeschreibung des Verhaltens der Wageninsassen während der Fahrt. Die Wagenführerin verabschiedet sich von ihren Fahrgästen mit der Hoffnung, daß niemand bleibende seelische Schäden davongetragen hat, daß keiner das Gefühl hat, seinen Chip an der falschen Kasse gekauft zu haben, und daß jeder insgesamt mehr Spaß als Schrecken empfunden hat

Mir hat’s gefallen. Ihr wart ein tolles Team: Genau die richtige Mischung aus "virtus" und "voluptas" – macht weiter so!

Gabi Edhofer